JAJ

Julia A. Jorges

Über mich:

Als Kind gehörte ich der Spezies helluo librorum an. Ich war ein Bücherwurm und der Gang in die Goslarsche (= Goslarer) Stadtbibliothek beinahe ebenso wichtig wie Essen und Trinken. Damals hieß sie noch Stadtbücherei und hatte ihre Heimat in einem prächtigen Fachwerkgebäude schräg gegenüber der Marktkirche. Lebhaft erinnere ich mich an die schwere Holztür mit der verzierten, durch unzählige Hände abgegriffenen Klinke. Man musste schon etwas Kraft aufbringen, um hindurch und in den dämmrigen Flur zu treten, dann nach links abbiegen, um in das Reich der Bücher zu gelangen. Viele Stunden verbrachte ich dort.


Neben den Erzählungen von Astrid Lindgren und Michael Ende verschlang ich alles, was mit Sagen und Märchen zu tun hatte, daneben sämtliche Was-ist-was-Bände. Rasch wechselte ich über in die Erwachsenenabteilung. Ich war ein literarisch frühreifes Kind. Mit 10 Jahren faszinierten mich Geschichten über Schiffsunglücke und Seenotrettung und ich lernte das Morsealphabet. Unter etlichem anderen las ich Das Boot von Lothar-Günther Buchheim, das ich allerdings nicht entleihen durfte, sondern heimlich aus dem Bücherregel meiner Eltern ziehen musste. Wie auch 1984 und etwas später Friedhof der Kuscheltiere. Science-Fiction erweckte ebenfalls mein Interesse, das sich mit der Zeit immer mehr in den Bereich des Fantastischen verschob.


In der 6. Klasse durften wir Bücher mit in den Kunstunterricht bringen, die unsere Lehrerin vorlas, während wir zeichneten oder tuschten. Ich brachte Küsschen, Küsschen von Roald Dahl mit und hatte „Schwein“ ausgesucht. Ich mochte die Story, wie auch die meisten anderen im Buch enthaltenen. Mein Hang zum Makabren und Morbiden war schon damals ausgeprägt, zudem hatte ich erst kürzlich entschieden, mich fleischlos zu ernähren. Leider kam die 6b der Orientierungsstufe Innenstadt nicht in den Genuss der gesamten Kurzgeschichte. Nach den ersten Absätzen las unsere Kunstlehrerin immer stockender, bis sie schließlich das Buch zuklappte und es mir mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht ganz deuten konnte, zurückgab. Begeisterung war es nicht.


Wenn ich nicht las oder in der Schule saß, durchstreifte ich gern die kopfsteingepflasterten Gassen der Kaiserstadt und lief die alte Stadtmauer mit ihren Türmen und Wallanlagen ab. Ein Hauch von Geschichte und Mysterium hängt über den geduckten Fachwerkhäusern, moosbedeckten Mauern und verwinkelten Straßen – sofern man empfänglich für derlei Eindrücke ist. Ich war sehr empfänglich dafür. Mehr als vor Monstern unter dem Bett fürchtete ich mich vor der schnöden Realität, also bevölkerte ich diese mit Ideen, die sich reichlich in meinem Kopf tummelten. In jedem Winkel sah ich das Geheimnisvolle und versetzte damit Verwandtschaft, Freunde und Mitschüler in Erstaunen. Nicht selten riefen meine bizarren, zumeist düsteren Einfälle Unverständnis, Spott und bisweilen Entsetzen hervor. Bei all dem blieb ich – so paradox das vielleicht klingt – fest in der Realität verwurzelt. Ich liebte die Vorstellung des Übernatürlichen, ohne dessen Existenz ernsthaft in Erwägung zu ziehen.


Irgendwann während der Grundschulzeit packte mich der Ehrgeiz, diese Gedanken zu Papier zu bringen. Mein erstes diesbezügliches Vorhaben trug den Titel „Erbschaft mit Hindernissen“ und erschien als Doppelband, in Form zweier handgeschriebener karierter DIN-A-4-Hefte.

Neben Wortwiederholungen und genüsslich ausgebreiteten Klischees wimmelt es in der Geschichte von unheimlichen Gestalten und schaurigen Orten. Der Krimi-Einschlag ist zurückzuführen auf den exzessiven Konsum von Die drei ???-Büchern und -Hörspielen, die neben der Grusel- und „Commander-Perkins“-Science-Fiction-Serie von Europa meine Kassetten-Karussells füllten.

Wenige Jahre später lernte ich, neben den Ikonen Poe, Lovecraft und Kafka, die Werke zahlreicher bekannter und weniger bekannter Heroen des Fantastischen kennen und schätzen. Erwähnen möchte ich Algernon Blackwood, Arthur Machen, C. A. Smith, Jean Ray, Stefan Grabiński, W. H. Hodgson, ebenso  J. R. R. Tolkien, Hermann Hesse und Gustav Meyrink, deren Erzählungen mich geprägt haben, um nur einige zu nennen. Aber auch modernen Autoren wie Clive Barker, T. E. D. Klein oder Adam Nevill, insbesondere aber Thomas Ligotti sowie dem wunderbaren, leider viel zu früh verstorbenen Wilum Hopfrog Pugmire fühle ich mich nicht weniger zugeneigt.


Ausbildung, Studienzeit sowie eine Umschulung ließen das literarische Schreiben viele Jahre in Vergessenheit geraten. Erst im Zuge der Elternzeit für meine Kinder fand ich kurioserweise eher zufällig zu der Tätigkeit, die inzwischen den Großteil meiner freien Zeit einnimmt: Im Netz stieß ich auf eine Ausschreibung zu H. P. Lovecraft, und unvermittelt sprang mich der Gedanke an, zu versuchen, ob ich dazu nicht auch etwas Sinnvolles zustande brächte. Wider Erwarten wurde die Geschichte angenommen. Nun hatte ich Blut geleckt und durchforstete die einschlägigen Autorenforen nach passenden Ausschreibungen. Im Zuge dessen legte ich mir das Pseudonym „Julia Annina Jorges“ zu, denn schließlich konnte der erste, rasche Erfolg gut dem Zufall geschuldet sein. Ein Scheitern des Versuchs, als Autorin Fuß zu fassen, hätte ich auf diese Weise leichter abhaken können, als wenn mein bürgerlicher Name damit verbunden gewesen wäre.


Absonderliche Ideen und (Alb-)Träume in Geschichten zu betten, ihnen Leben einzuhauchen und eine Stimme zu geben, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Ein wiederkehrendes Thema in meinen Kurzgeschichten sind die sogenannten menschlichen Abgründe und psychische Abweichungen. Es ist mein Anliegen, das Seltsame, vermeintlich Irrationale möglichst differenziert und nachvollziehbar darzustellen, ohne gängige Klischees über Menschen auszuwalzen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Ob mir dies gelingt, mag der geneigte Leser beurteilen. Als jemand, der in seinem Leben häufig „durchs Raster gefallen“ ist, traue ich mir ein gewisses Gespür zu für Menschen, die sich aufgrund psychischer Besonderheiten von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden.


Mein Blog anderseitig – unverstellt anders:

2019 wurde bei mir das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Wer mehr darüber erfahren möchte, den lade ich herzlich ein, meinen neuen Blog anderseitig – unverstellt anders zu besuchen. Ich habe ihn Ende 2021 erstellt, um zu mehr Sichtbarkeit und Anerkennung von Menschen mit psychischen Besonderheiten und Beeinträchtigungen beizutragen, weil Letzteres in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema ist. Anderseitig verfolgt den Zweck, Informationen zu vermitteln für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Außenseiter sind oder sich als solche fühlen. Die Schwerpunkte liegen auf den Persönlichkeitsmerkmalen Introversion und Hochsensibilität sowie deren Überschneidungen mit dem Broader Autism Phenotyp (autistische Züge) und hochfunktionalen Autismusformen wie dem Asperger-Syndrom.