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22.09.2021
Haruki Murakami: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
In seinem autobiografischen Buch Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede eröffnet Haruki Murakami dem Leser sehr persönliche Einblicke in seine Beziehung zum Laufen. Diese kann man wohl zu recht als intensiv bezeichnen: tägliche Läufe, jährliche Marathons, ein Ultramarathon – der freilich ein “Runner’s Blue”, ein Stimmungstief, verbunden mit längerer Lauf-Unlust nach sich zog. Hinzu kamen in späteren Jahren Triathlons. Zumindest bei Nicht-Läufern mag sich der Gedanke aufdrängen, der Autor laufe vor etwas davon oder betreibe exzessiv Sport, um etwas zu kompensieren. Und so vollkommen falsch liegt man mit dieser Vermutung nicht.
Der Grund, mit dem Laufen zu beginnen, war für Haruki Murakami allerdings ein ganz simpler. Nach dem Erfolg seines Romans Wilde Schafsjagd (1982), durch den er nach eigener Aussage erst wirklich zum Schriftsteller reifte, brachten gesundheitliche Überlegungen ihn dazu, sich eine sportliche Betätigung zu suchen, die sowohl wenig Aufwand mit sich bringt als auch zu seinem Naturell passt. Mannschaftssportarten oder solchen, die eine schnelle Reaktion erfordern wie z. B. Tennis, konnte Haruki Murakami bereits zu Schulzeiten nichts abgewinnen. Schwimmen schon eher, nur braucht es zur regelmäßigen Ausübung eine Schwimmhalle in der Nähe. Einfach loszulaufen erfordert demgegenüber nur geeignetes Schuhwerk und passende Kleidung. Also wurde der damals 33-Jährige zum Freizeit-Läufer, der seinen Sport mit offenbar eiserner Disziplin verfolgt. Haruki Murakami sieht Disziplin nicht als ausschlaggebenden Motor für seine kontinuierliche körperliche Leistungsbereitschaft, die er – freilich augenzwinkernd – als “nutzlose“ Tätigkeit bezeichnet. Was ein Mensch gern tut, das erfordert keinen großartigen Willensakt.
Kleine Bemerkung am Rande: Um Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede zu lesen, muss man kein Fan von Haruki Murakamis sonstigen Werken sein. Obwohl ich den Autor schätze, ist das vorliegende Buch mein absolutes Lieblingswerk aus seiner Feder.
Laufen als “Gegengift”
Warum sich an seiner Leidenschaft für das Laufen – ungeachtet einiger Tiefpunkte wie dem oben erwähnten – bis ins Jahr 2007, als Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede erschien, nichts änderte (und auch nicht ändern wird, sofern es in der Macht des Autors liegt), dazu entwickelt Haruki Murakami eine eigenwillige, aber nicht abwegige These: Das Schreiben ist eine ungesunde Aktivität, und hier ist nicht zuvorderst das lange Sitzen am Schreibtisch gemeint. Ein Romanschreiber, der sich naturgemäß mit den Tiefen und Untiefen menschlichen Wesens beschäftigt, wird durch seine Tätigkeit gleichsam “vergiftet“, sein kreatives Potenzial auf Dauer geschwächt. Dazu gilt es, ein Gegenmittel zu finden. Weil der Geist eines künstlerisch Schaffenden immer Gefahr läuft, ins Kränkliche, Dekadente abzudriften – entsprechend dem Bild des Künstlers in der japanischen Kultur –, liegt die Lösung in der Kräftigung und Gesunderhaltung des Körpers. “Mens insana in corpore sano“ quasi. Auf diese Weise hofft der routinierte Langstreckenläufer und produktive Autor, den Punkt, an dem viele Kunstschaffende innerlich ausgebrannt aufgeben, weil sie ihren Zenit überschritten haben, möglichst lange hinauszuzögern.
Analogien zum Schreiben
Den Bogen zu seinem literarischen Schaffen schlägt Haruki Murakami immer wieder. Der Vergleich des Romanschreibens mit dem Laufen eines Marathons findet ebenso Erwähnung wie die Fokussierung auf den Moment – den nächsten Schritt oder eben den nächsten Satz – als weitere Analogie. Das richtige Maß von Arbeit und Pausen erschließt sich dem Autor im Vergleich mit Belastung und Regeneration beim und vom Laufen. So stellen Laufen und Schreiben gegensätzliche Pole dar, die einander symbiotisch bedingen. Dabei speist eine gemeinsame Quelle sowohl schöpferische Kraft als auch sportliche Leistung: das Alleinsein. Haruki Murakami sagt von sich selbst, er sei nie ein geselliger Mensch gewesen. Seine oberste Priorität gilt nicht dem sozialen Umfeld, sondern einen Lebensstil zu pflegen, der ihm ungestörtes Schreiben (und Laufen) ermöglicht. Für einen Schriftsteller eine vorteilhafte Denkweise.
Die auf den 164 Taschenbuchseiten geschilderten Erlebnisse und Einsichten – hervorzuheben sei hier besonders der Abschnitt über den Ultramarathon sowie Haruki Murakamis immer mal wieder eingeflochtenen Gedanken zum körperlichen Alterungsprozess –, spiegeln die Lebensphilosophie eines Menschen wieder, der seine inneren Dämonen überwunden oder doch mindestens seinen Frieden mit ihnen gemacht hat.
Fazit
Ein großartiges Buch. Vielleicht fällt meine Meinung deshalb so positiv aus, weil ich selbst laufe und schreibe und mir einiges sehr bekannt vorkommt. Dabei spielt es keine Rolle, dass ich wohl niemals einen Ultramarathon, vielleicht nicht einmal einen gewöhnlichen Marathon laufen werde – das Literarische einmal außen vor gelassen. Man muss wohl entweder Läufer oder Schriftsteller sein, um dieses Buch wahrhaft zu schätzen. Beides, um es im Innersten nachvollziehen zu können.
JAJ - 17:07 @ Rezensionen | Kommentar hinzufügen
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Lieber Frank,
ich freue mich über deine Antwort, die mir einmal mehr zeigt, …
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Toller Artikel, Julia. Mir geht es ähnlich wie dir: wirklichen Grusel empfinde …
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Liebe Silke,
herzlichen Dank für deine Rückmeldung und deine lobenden Worte…
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Sehr schöner Beitrag mit vielen Facetten, Julia!
Gefreut hat mich auch deine …
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